Wo Mephisto den Blauen Engel trifft
In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts war Potsdam/Babelsberg Filmstandort mit Weltruhm. Meisterwerke des deutschen Expressionismus entstanden in den 30 km von Berlin gelegenen Studios. Über das filmische Erbe aus dieser Zeit wacht die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung. Sie verwaltet die Rechte von Klassikern wie Fritz Langs „Metropolis“ oder Robert Wienes „Das Cabinet des Dr. Caligari“. Filme, die ihren Platz in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts fest eingenommen haben.
Als die Firma Bioscop 1911 in Potsdam/Babelsberg ihr erstes gläsernes Filmstudio erbauen lässt, ist noch nicht abzusehen, welche Bedeutung dieser Standort schon bald für den deutschen Film haben wird. 1920 geht die Bioscop in der von Erich Pommer geführten Decla auf, um nur ein Jahr später wiederum mit der Universum Film AG zu fusionieren. Als Leiter der in die Ufa integrierten Decla/Bioscop, der Union AG und der Messter-Gesellschaft rückt Erich Pommer in der Folgezeit in den Vorstand der größten deutschen Filmproduktion auf. Unter der Regie der Ufa werden die Studios in Babelsberg neben ihren Produktionsstätten in Berlin/Tempelhof kontinuierlich ausgeweitet. So errichtet man 1926 auf dem Gelände für den Film Metropolis die seinerzeit größte Atelierhalle Europas. Mit dem Bau des Tonkreuzes, vier kreuzförmig angeordneten Hallen, kommen 1929 die ersten deutschen Tonfilmateliers hinzu. Mit der klangvollen Geschichte der Studios sind Namen verbunden wie Friedrich Wilhelm Murnau, Ernst Lubitsch, Fritz Lang, Marlene Dietrich, Kurt Gerron oder Greta Garbo.
„Das Cabinet des Dr. Caligari“
Von 1911 an realisiert die Produktionsfirma Bioscop eine Reihe abendfüllender Spielfilme mit der Dänin Aster Nielsen, die sie systematisch als ersten großen Filmstar des deutschen Kinos aufbaut.
Mit dem Film „Das Cabinet des Dr. Caligari“ schafft der Regisseur Robert Wiene 1919 für die Decla einen der berühmtesten Horrorfilme der Filmgeschichte. Die mehrdimensionale Handlung des Werkes und der vermeintliche Wahnsinn der Titelperson erhalten in den skurrilen Bauten von W. Reimann, W. Röhrig und H. Warm ihre visuelle Entsprechung. Das expressionistische Werk besticht durch seinen virtuosen Umgang mit Licht und Schatten.
„Faust“
 
Friedrich Wilhelm Murnaus Horrormär „Nosferatu. Eine Symphoníe des Grauens“ legt 1922 den Grundstein für das Genre des Vampirfilms. Das düstere und bedrohliche Werk mit Max Schreck als blutsaugenden Grafen bot für Werner Herzogs Remake mit Klaus Kinski aus den 70er Jahren die Vorlage.
1924 entsteht Murnaus „Der letzte Mann“ mit Emil Jannings, der einen alternden, ehedem stolzen Portier spielt, der zum Toilettenmann des Hotels deklassiert wird. Die innovative Kameraführung des Filmes, zeichnet eindrucksvoll und stilbildend die emotionale Welt des Protagonisten nach.
Die spektakuläre Montagearbeit zeichnet Murnaus 1926 erschienene Faustverfilmung aus, in der Emil Jannings als Mephisto brilliert.
Fritz Langs international bekannteste Arbeit ist wohl „Metropolis“ von 1926. Der Science-Fiction über einen Arbeiteraufstand in einer menschenverachtenden Zukunftsstadt besticht noch heute durch seine für damalige Verhältnisse bahnbrechende Tricktechnik. Für die überdimensionalen Bauten ließ die Ufa extra die größte Atelierhalle Europas errichten. Das horrende Budget von 6 Millionen Reichsmark stürzt die Ufa in eine wirtschaftliche Krise und bedeutet für den Produzenten Erich Pommer das vorläufige Aus bei der Produktionsfirma. Ein Jahr später wird er zurückkehren.
„Metropolis“ von Fritz Lang
„M - Eine Stadt sucht einen Mörder“ von 1931 mit Peter Lorre und Gustaf Gründgens ist Fritz Langs erster Tonfilm. Die Geschichte über die Menschenhatz nach einem pathologischen Kindesmörder portraitiert beeindruckend die beklemmende Atmosphäre in Berlin am Vorabend des Dritten Reichs.
1933 dreht der Regisseur mit „Das Testament des Dr. Mabuse“ seinen letzten von insgesamt drei Mabuse-Filmen. Da die Geschichte über einen verrücken Kriminellen mit Weltherrschaftsfantasien als Allegorie auf Adolf Hitler verstanden werden kann, wird die Uraufführung 1933 in Deutschland von den Nationalsozialisten verboten.
1930 erscheint „Der blaue Engel“, Josef von Sternbergs einziger Film für die Ufa. Die Literaturverfilmung von Heinrich Manns Roman „Professor Unrat“ macht die zuvor unbekannte Marlene Dietrich, an der Seite von Emil Jannings und Kurt Gerron, über Nacht zum Star.
Als Sternberg 1933 kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten nach Berlin reist, muss er erkennen, dass eine weitere Zusammenarbeit für ihn mit der Ufa, die nach ihrer wirtschaftlichen Krise seit 1927 zum Medienimperium des nationalistisch gesinnten Verlegers Alfred Hugenberg gehört, unmöglich ist. Er verlässt Deutschland wieder unverrichteter Dinge.
Mehr und mehr Filmschaffende (insgesamt um die 1500!) kehren Deutschland wegen der politischen Gegebenheiten den Rücken. Unter ihnen Fritz Lang, Marlene Dietrich, Peter Lorre, Billy Wilder, Asta Nielsen und Erich Pommer.
Marlene Dietrich
Marlene Dietrich und Emil Jannings, „Der blaue Engel“
Mit Beginn des kollektiven Amoklaufs der Deutschen verlegt sich die Ufa vermehrt auf seichte Unterhaltung. Reichspropagandaminister Goebbels möchte das Volk „unterhalten“ wissen. Die deutsche Filmindustrie steht zunehmend unter staatlicher Kontrolle. Die Ufa wird „arisiert“, Juden ist es fortan verboten für das Unternehmen zu arbeiten. Politisch „Missliebige“ werden „mundtot“ gemacht oder arrangieren sich allzu oft mit dem Regime. Später werden für die Ufa KZ-Häftling als Statisten in Propagandafilmen abkommandiert werden.
„Opfergang“ von Veid Harlan
Spielte Heinrich George in den 20er Jahren noch unter Erwin Piscator und Bertolt Brecht linkes Agitationstheater und feierte 1931 Erfolge mit der Verfilmung von Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“, verkörpert er 1933 nach einem kurzen Auftrittsverbot in dem Spielfilm "Hitlerjunge Quex" einen zum Nationalsozialismus „bekehrten“ ehemaligen Kommunisten. In Veit Harlans antisemitischen Hetzfilm „Jud Süß“ übernimmt er 1940 neben Kristina Söderbaum eine Hauptrolle.
Da Söderbaums Filme während des Dritten Reichs, die ausschließlich von ihrem Mann Veit Harlan inszeniert werden, häufig mit ihrem melodramatischen Tod im Wasser enden, verspottet sie die Öffentlichkeit bald als „Reichswasserleiche“. Obwohl nie Mitglied in der NSDAP, bekennt sich Emil Jannings öffentlich zum Nationalsozialismus und verkörpert in Propagandafilmen häufig den „arischen Herrenmenschen“. Nach dem Krieg erhält er lebenslang Auftrittsverbot.
Kristina Söderbaum
Heinrich George
Hans Albers, „Münchhausen“
 
Mit dem opulenten Farbfilm "Münchhausen" feiert die Ufa 1943 ihr 25-jähriges Bestehen. Die Rolle des Lügenbarons übernimmt Hans Albers. Regie führte in dem Film Josef von Baky. Erich Kästner, der am Drehbuch beteiligt ist, muss wegen totalen Schreibverbots unter dem Pseudonym Berthold Bürger auftreten.
Albers spielt u.a. in Robert Siodmaks „Quick“ (1932) und Helmut Käutners „Große Freiheit Nr. 7“ (1943).
Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs, gründet sich in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) die Deutsche Film AG (DEFA). Ihren filmischen Nachlass betreut heute die 1999 ins Leben gerufene DEFA-Stiftung.
In Westdeutschland verwalten die Westmächte bis 1953 das ehemals reichseigene Filmvermögen. Zur Reprivatisierung der Filmindustrie werden 1956 die Firmen Bavaria Filmkunst und die Universum Film AG neu gegründet und erhalten die Rechte auf den gesamten Filmstock. 1962 wird die Ufa durch den Bertelsmannkonzern übernommen.
Als 1965 Bertelsmann beabsichtigte die Filmrechte der Ufa ins Ausland zu verkaufen, wird auf Betreiben der damaligen Bundesregierung eine Stiftung gegründet, die den Ausverkauf nationalen Kulturgutes verhindern soll. Namensgeber für die Stiftung ist einer der exponiertesten Vertreter des deutschen Films: Friedrich Wilhelm Murnau. Im Folgejahr übernimmt die Stiftung den vollständigen Filmstock der Bavaria und der Ufa, zu dem neben den Filmen vor 1945 auch alle Nachkriegsproduktionen der beiden Unternehmen gehören. Zudem ist sie Rechtsnachfolgerin der Produktionsfirmen Tobis, Universum-Film, Terra und Berlin-Film.
E. Jannings, „Der letzte Mann“
Bis heute ist es vordringlichste Aufgabe der Stiftung, das reichhaltige filmische Erbe zu verwalten und vor dem Verfall zu schützen. In aufwendigen Verfahren werden die alten Filmrollen restauriert und digitalisiert, um sie für die Nachwelt zu erhalten. Das besondere Augenmerk gilt dabei natürlich den als ‚Vorbehaltsfilme’ gekennzeichneten Propagandafilme des Dritten Reichs, die „nur im Rahmen von fachkundig eingeleiteten und kommentierten Veranstaltungen und Gesprächsrunden vorgeführt werden“ sollen.
Zum Filmstock der Murnau-Stiftung gehören rund 2.000 Stumm- und 1.000 Tonfilme. Hinzu kommen ca. 3.000 Kurzfilme (darunter Werbe- und Dokumentarfilme) und 60.000 Fotos, Plakate und Werbematerialien.